7/21/2015

Nacht auf der Insel (Tag 8 bis 10)



Finnland ist erfreulich menschenleer, gerade mal fünfeinhalb Millionen Einwohner hat das Land. Wer trotzdem Leute sehen will (und grad nicht in Helsinki ist), kann nach Rovaniemi fahren.
Dort ist der Weihnachtsmann zu Hause, und um diese Attraktion herum ist ein ganzes „Village“ entstanden, in dem sich die übliche Merchandising- und Vermarktungsindustrie an Touristen aus aller Welt schadlos hält.
Für mich eigentlich ein Grund, einen großen Bogen um diesen Ort zu machen, aber es gibt hier eine Road-Book-Aufgabe zu erledigen: ein Foto mit dem Weihnachtsmann. Der allerdings hat reguläre Arbeitszeiten und ist grad nicht anwesend – Pause bis 16 Uhr. Ewig schade, na, dann können wir ja gleich wieder weiter.

Vorher verabreden wir uns aber noch mit dem zweiten Saab-Team, Martin und Maciej. Nach all der majestätischen Einsamkeit des ganz hohen Nordens können wir ruhig mal ein bisschen gesellig sein.
Ein Stück weiter südwärts liegt vor der Stadt Oulo die Insel Hailuoto, eine Ferieninsel mit Gratis-Fähre, dort wollen wir uns treffen. Martin und Maciej werden hier zum ersten Mal nicht in ihrem Saab schlafen, sondern im Zelt, was nur bei einem von beiden Vorfreude auslöst. Ich hingegen bin geradezu euphorisch: Ich liebe Draußenschlafen am Strand, und zwar ohne Zelt. Unter den Sternen liegen und von der Ostsee in den Schlaf gesungen werden, wunderbar!

Wie so oft kommt es anders. Am Ende der Insel angekommen, gehen wir durch ein wunderbar duftendes Krüppelkieferwäldchen Richtung Strand, eingehüllt von einem Mantel aus Mücken. Mit jedem Schritt raus aus dem Wald und rein in die Dünen wird die Wolke dünner. Die Ostsee plätschert so sachte wie Badewasser an den Wannenrand, aber laut genug, um das Sirren der Sauger zu übertönen.




Draußenschlafen ohne Zelt kommt für Michaela nicht infrage, wie sie mir entschieden erklärt, als ich ihr meinen Plan eröffne, und mich machen Mücken nervös, also wird doch wieder aufgebaut: Außenzelt, Zeltboden, Innenzelt.
Dann geh ich Strandholz sammeln für den Grill. Barfuß durch den feinen braunen Sand, die Weite, der Geruch – ich bin völlig zufrieden. Es gelingt mir, den Grill ohne Anzünder zu entfachen (bei Seewind!), und dann überrascht mich ein unerwarteter Anblick. Oben auf den Dünen erscheint ein luftschiffartiges Gebilde, unter dem irgendwann Martin zum Vorschein kommt. Teil 1 der „Aurora Hunters“ ist angekommen und trägt eine riesige Luftmatratze zum Strand. Die passt haargenau ins Wurfzelt der beiden, wie sie aber in den Saab passt, der fast baugleich ist mit unserem, ist mir ein Rätsel.

Der Grill vertreibt die Mücken, die Nacht ist hell, das Bier lauwarm und die aus München mitgebrachten Nürnberger Würstchen immer noch gut, trotz vielfach unterbrochener Kühlkette. Es ist wie so oft deutlich nach Mitternacht, als wir beschließen, dass es jetzt genug sein muss, und ins Bett gehen.
Was Finnland an Menschen nicht hat, das machen die Mücken wett. Mehrere Dutzend von ihnen erwarten uns in unserem Zelt. Jetzt bewährt sich unser Palast zum ersten Mal, denn die durstigen Flieger müssen sich aufs Vorzelt beschränken, das Innenzelt ist dank Reißverschluss für sie gesperrt. Mehr als Antichambrieren ist also für sie nicht drin, und dabei soll es auch bleiben. Deshalb legen wir noch mal eine frische Dosis „Anti-Brumm“ auf, ziehen uns so schnell wie möglich im Vorzelt aus und hechten gemeinsam ins Innenzelt. Tatsächlich gelingt es uns, ohne eine einzige Mücke auf den Matten zu landen.
Und dann singt uns nicht die Ostsee in den Schlaf, sondern doch wieder nur Gert Heidenreich, der uns über Michaelas Handy mit seiner etwas zu sonoren Altherren-Stimme Martin Suters Roman „Allmen und die Dahlien“ vorliest.

Tipps & Infos:
Fährplan auf die Insel Hailuoto: 
 www.finferries.fi

7/08/2015

Randbemerkung: Vegetarier nicht bevorzugt



Im Nachhinein ist uns viel gratuliert worden zu unserem Mut. Danke dafür und für die Respektsbekundungen, aber die Rallye zu fahren, war eigentlich ganz einfach. Schwierig waren die Vorbereitungen und das Auto an den Start zu kriegen.
Und auch die Rallye wäre eine ungleich größere Herausforderung gewesen, wenn ich sie als Vegetarierin bestritten hätte, was ich in München bin. Ich mag aber Dogmatismus nicht und esse, wenn's drauf ankommt, problemlos Mayonnaise, Krabben und alle Arten von Fisch, inklusive der stattlichen Anzahl an Es und As, die dem Tubenfisch (unser Favorit war Kaviar mit Dill) erst die richtige Würze verleihen. Echte Vegetarier sollten bei Teilnahme an der Baltic Sea Circle 100 Extra-Punkte bekommen, wenn sie sich in diese obst- und gemüsefreien Zonen vorwagen (max. 3 Monate Vegetationszeit, das reicht im Höchstfall für mickrige Kartoffeln).
Wär auch mal 'ne Aufgabe fürs Road Book: drei Tage ohne Fisch/Fleisch, höhö.

7/07/2015

Randbemerkung: Schweden vs. Norwegen



Schweden liegt zwar schon hinter uns, aber ein Wort möchte ich dazu noch sagen: Auf unserer Route ist uns ein sehr zurückgezogenes und geradezu abweisendes Schweden begegnet. Traumhafte Pippi-Langstrumpf-Häuser, Blumen in den Gärten, aber keine Menschenseele draußen. Und das kurz vor Mittsommer und angesichts eines baldigen und sehr langen Winters... Die Stadt Falun zum Beispiel (Weltkulturerbe!): wie ausgestorben. Die Häuser wunderbar erhalten und anzusehen, jedes Fenster feinsäuberlich dekoriert, aber kein Mensch auf der Straße.
Dazu dann später die Eintönigkeit der Landstraßen im nördlichen Schweden (Norrland, da wo in Wallanders Krimis der wortkarge Polizist herkommt). Fichten links, Fichten rechts und stundenlang kein Fahrzeug im Rückspiegel und keins auf der Gegenfahrbahn.
Auch haben wir uns gefragt, wo denn all die Reisenden bleiben, die nicht zelten oder im Wohnwagen unterwegs sind. So viele stattliche Häuser mit mindestens einem weiteren kleineren Haus im Garten und nirgendwo ein Bed and Breakfast oder ein Hotel... ganz seltsam. (By the way: Kommentare zu diesem Thema unbedingt erwünscht!).
Ebenfalls Mangelware entlang der Straßen: Cafés und Restaurants (und Zeit, die Landstraße zu verlassen, hatten wir nicht). Fuhren wir mal an einem vorbei, war's zu. Schwierig, schwierig, einen Kaffee oder einheimische Küche zu bekommen. Zumal unsere Thermoskanne gleich zu Beginn der Tour in Scherben ging.
Essensmäßig behelfen wir uns mit Fischtuben und Brot, kaffeemäßig gar nicht, dafür häufige Fahrerwechsel.

Das sind natürlich nur Momentaufnahmen und Zufälligkeiten der Route, sie haben aber den Gegensatz zu Norwegen verschärft. Oder sind wir nach der Fahrt durch das majestätische Saltfjellet-Hochplateau einfach nur besonders empfänglich für das vergleichsweise südliche Flair, das uns zum Beispiel in der Stadt Fauske empfängt? Jede Menge Leute auf den Straßen, die tun, was Menschen in Städten eben so tun: einkaufen, arbeiten, tanken oder picknicken.
Wir tun das auch, zumal wir nach all den Seen zum ersten Mal das Meer sehen (und riechen) und einen einladenden Platz zum Picknicken direkt am Wasser entdecken. Ein Griff in die Kühlbox auf der Rückbank und wir traben, ausgerüstet mit Fischtuben, Käse und Brot, zum Rastplatz.





7/03/2015

Tag 6 & 7: Der Saab ist kein Offroader oder Norwegen, die härtere Seite



Runter von den Lofoten, weiter die norwegische Küste entlang Richtung Varangerbotn kurz vor der russischen Grenze.
Routine macht sich breit und verstärkt die Müdigkeit durch chronischen Schlafmangel. Kurvig geht es überland bei Tempo 80, einen Berg hinauf, unten ein Fjord, und wieder herunter, dann kommt eine Ortschaft mit Tempo 60, dann das Gleiche wieder von vorn.

Nachdem wir zu Beginn dieser Etappe von etlichen Teams überholt werden, die ebenfalls vom Partyplatz an den Lofoten abziehen, fragen wir uns, wie auch wir das strenge norwegische Tempolimit entschärfen können.
Wir beschließen, so lange zu schleichen, bis uns ein Einheimischer überholt (und KEIN deutsches Wohnmobil, die halten sich immer ganz strikt ans Tempolimit und versperren dazu den Blick auf die Landschaft). Dem Norweger fahren wir dann hinterher und verlassen uns darauf, dass er über einen Blitzer-Infodienst verfügt, in diesem Land sicher Standardausrüstung für Autofahrer.
Das läuft auch ganz gut. Wir kommen zügig voran die norwegische Küste entlang Richtung Osten. Bis kurz vor Russland wollen wir heute fahren und eine Freundin von Michaela besuchen, die in dem abgelegenen Ort Varangerbotn lebt.

Die Fahrt dorthin wird uns fast den Auspuff kosten und mich wieder angstvoll in die Sitze drücken. Irgendwann nämlich fahren wir zwar einen Berg hinauf, aber nicht wieder hinunter. Stattdessen landen wir auf einer mondähnlichen Kraterlandschaft, ein Hochplateau von unirdischer Feindlichkeit. Die Straße steigt nachtschwarz auf einem Damm hoch hinaus ins Nirgendwo, und auf der anderen Seite des Scheitelpunktes hört sie einfach auf und wird Baustelle.
Schotter, Geröll, Schlaglöcher, Bodenwellen; auch im Schritttempo höre ich, wie das Mittelteil unseres Auspuffrohrs aufsetzt. Dort gibt es eine Überbrückung, eine Art silberfarbiges Netz, das nun mit feinem Sirren auf dem Boden schleift. Meter um Meter quälen wir uns und das Auto weiter, und irgendwann kommt zum hellen Sirren ein tieferes „Klonk“ hinzu, der Auspufftopf hinten hat Bodenberührung.
Ich bin wieder überaus beschäftigt mit der alten Frage „Was ist, wenn wir in dieser Einöde liegen bleiben?“, aber irgendwann sind Hochplateau und Baustelle vorbei und der Auspuff noch dran, wenn wir auch von jetzt an bei jeder kleinen Unebenheit ein helles Sirren und dazu nicht selten ein tieferes Klonk hören.

Für diese Zumutungen werden wir am Abend mit frischen Krabben entschädigt, die wir nach Landesart mit unterschiedlichen Arten von Mayonnaise auf Toast essen.

Am nächsten Morgen füge ich mich in mein Schicksal als angelernte Kfz-Mechanikerin und lege mich unters Auto, das wir zuvor mit zwei Wagenhebern so weit wie möglich vom Boden gehoben haben. Was ich sehe, ist nicht schön. Das Überbrückungsteil ist unten durchgescheuert, der Auspufftopf aus seiner Halterung gesprungen. Ich versuche die Halterung wieder in die Aufhängung zu drücken, mir fehlt aber die Kraft und ich habe das Gefühl, dass die massive Stahlkarosserie auch aufgebockt direkt auf meinen Brustkorb drückt. Nix wie raus unter dem Schwedenstahl!

Also kommt der Saab am Samstag zur Notfallbehandlung in die örtliche Werkstatt, wo der Mechaniker den Auspuff in die Halterung drückt und sagt, das andere hält noch ewig. Das wird sich als Irrtum herausstellen, vorerst aber fahren wir mal so weg von diesem unwirtlichen Ort.

7/02/2015

Piraten und nordische Karibik



Mann Mann Mann, immer noch Tag 5, wenn das so weitergeht, wird dieser Blog erst kurz vor der nächsten Rallye fertig ...

An diesem Tag durchqueren wir nicht nur das großartige Saltfjellet-Hochplateau, sondern setzen auch auf die Lofoten über.
Dazu fahren wir nach Skutvik, wie immer, ohne uns vorab über die Fährverbindung informiert zu haben. Und siehe da, die nächste Fähre auf die Lofoteninsel Gimsoya legt erst um 18.15 ab, das bedeutet 3 Stunden Freizeit für uns zwei Reisende. Auch nicht schlecht, Zeit, die kleine Hafenstadt zu durchstreifen und das Gesicht in die Sonne zu halten, die großzügig scheint.
Gleich neben dem kleinen Hafen liegt ein Strand mit unglaublich klarem Wasser. Das Wort „unberührt“ geht mir durch den Kopf, aber das kann natürlich nicht sein. Ganz leise leckt das Meer am Sand. Ich sammle Muscheln und springe von Stein zu Stein, flach und groß säumen sie den Strand, Barfußwege von Bucht zu Bucht. Die Zeit vergeht wie im Flug und steht gleichzeitig still, ich denke an Piraten und wie sie hier ihre Schätze zusammensammeln. 
Im Lanthandel gleich am Hafen besorgen wir uns Kaffee, süße Teilchen und Dörrfisch. Weiteres mußevolles In-der-Sonne-Sitzen, so viel Zeit dazu hatten wir auf der Rallye noch nie.

Irgendwann fährt ein riesiges Feuerwehrauto in die Warteschlange ein, das Team „Freuwillige Feierwehr“ nimmt offensichtlich ebenfalls die Fähre. Ich bewundere die Leute mit dem extrabreiten Gefährt; damit auf den schmalen Landstraßen Kurs zu halten und nicht die teilweise sehr tiefen Abbruchkanten runterzurutschen, ist eine echte Leistung. Fröhliche Franken steigen aus, wir bekommen Bier in kleinen Flaschen angeboten und sehen ziemlich bald, wie Teammitglied Lemmy mit einem Fässchen Bier zu den Fischern geht, die gerade ihren Fang hereingebracht haben.
Weiteres mußevolles Lemmy-beim-Tauschhandel-Zuschauen. Anscheinend ist Lemmys Norwegisch nicht so gut oder der Fischer kann sein Glück nicht fassen, dass er für ein ganzes Fass Bier nur einen einzigen, nicht-ausgenommenen Fisch rausrücken soll. Also fragt er Lemmy, ob er noch einen Fisch will, und Lemmy sagt ja. Auch zum dritten Fisch, der ihm angeboten wird, sagt Lemmy noch ja, dann zieht er zufrieden mit der Beute ab. Wie hoch die Währung Bier umgerechnet in Fisch nun also tatsächlich ist, bleibt damit im Unklaren ;).

Abends lernen wir weitere Teams kennen, denn auf Gimsoya findet die erste von zwei Rallye-Partys statt, zu der sich alle Teams treffen. Der Ort ist großartig. Eine herrliche Bucht, feiner Sand, eine Sonne, die nicht untergeht. Die Organisatoren haben ein riesiges Feuer am Strand vorbereitet und einen Grill hingestellt. Die Kofferraumklappen gehen auf, und alle laden den Karton Bier aus, den jedes Team am Start bekommen hat, um ihn genau hierher zu transportieren.

Beeindruckend, die Landschaft und das Licht, gerade auch von der Klippe aus, auf die wir uns gegen ein Uhr morgens zurückziehen, um unser Zelt in der Wildnis aufzustellen und dafür einige Extrapunkte im Road Book zu kassieren.